Das Proletariat hat nichts zu verlieren als seinen Weihnachtsmarkt

Weihnachten ist eine große Ausnahme: Familien, die sich sonst nie sehen, treffen sich, Menschen, die sonst nie spenden würden, tun es auf einmal doch. Und der kleine Prolet vom Fließband meint, in Form des Weihnachtsgelds zum ersten Mal in diesem Jahr von seinem Chef so etwas wie Anerkennung erhalten zu haben. Alles schön? Warum kann es nicht das ganze Jahr über so sein? Warum wird erst Ende des Jahres auf andere geschaut?

Noch schlimmer wird es, wenn man sieht, wie durchkommerzialisiert das Fest ist. Ein Beispiel? Ein großes Versandhaus macht Werbung mit dem Slogan „Schenke das Wertvollste, was Du hast. Zeit.“ In dem dazu gehörigen Werbefilm wird die Hektik der werktätigenBevölkerung dargestellt, mit der Pointe, zu Weihnachten es doch mal ruhiger angehen zu lassen und Zeit für die Familie zu finden. Mit Sicherheit ist das keine schlechte Empfehlung – doch warum ausgerechnet zu dieser Zeit im Jahr? Wäre es nicht besser, wenn man sich immer mal wieder rausnehmen, entschleunigen würde, sich immer Zeit nehmen könnte für die Familie, und nicht nur zum Abschluss eines langen Jahres, durch das man gehetzt ist?

Wir kennen es doch alle: „Es geht stramm auf Weihnachten zu“, „Bald ist ja schon wieder Weihnachten“ − Ausdrücke davon, wie sehr die Zeit vergeht und man sein Jahr auf diese Zeit ganz am Ende ausgerichtet hat. Zeit zum Runterkommen. Zum Einkehren. Vielleicht geht man ja sogar mal in die Kirche… Bedürfnisse treten auf, für die den Rest des Jahres keine Zeit da ist. Jetzt wird das nachgeholt. Es werden Weihnachtslieder gesungen, Kerzen angezündet, etc. pp. Kraft getankt, Ruhe gefunden − und dann ab 2. Januar wieder auf die Arbeit, ab in ein neues hektisches Jahr.

Da kommt doch die Frage auf: Warum angesichts der einen Woche Weihnachtsferien überhaupt die Arbeit einstellen? Man könnte doch auch allein den Jahresurlaub stehen lassen, zu wenig Zeit ist eine Woche! Zumal der Wunsch, ein perfektes Weihnachten feiern zu können, nicht selten selbst in totaler Hektik endet.

Vielleicht ist das der Grund dafür, dass selbst das Großkapital verstanden hat: Die Menschen brauchen mal eine Pause − und in Gedanken setzt es hinzu: um hemmungslos zu konsumieren. Also stellt es Kitsch in die Regale, produziert kurzfristig angenehme Gefühle durch bunte Werbung, bringt die nächste CD mit Weihnachtsschnulzen auf den Markt, garniert mit der nächsten Version von „Last Christmas“.

Und ihr? Denkt euch: Ich geh erstmal auf den Weihnachtsmarkt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.