„… der Zuschuss wird auf Null reduziert.“ – Die AfD will Politik machen

Am 29. Januar trifft sich um 17.45 Uhr der Stadtrat, um die Haushaltsplanung für das Jahr 2020 zu verabschieden. Die seit letztem Jahr neu in den Stadtrat gewählte AfD wird ihre Anträge einbringen.
Einmal mehr zeigt sich, dass faschistische Politik nichts zu bieten hat, als gegen diejenigen vorzugehen, die den Interessengegensätzen in der demokratischen Gesellschaft Ausdruck verleihen. Es soll gleichgemacht werden, was nicht gleich ist und hoffentlich so bald auch nicht wieder gleich wird:

  • „Die Unterstützung für das von DNT/Staatskapelle organisierte sogenannte Kunstfest wird auf null reduziert“. Denn: „Die Subventionierung eines zum Teil für politische Propaganda gegen konservative Parteien genutztes sogenanntes Kunstfest ist politisch unausgewogen und nicht nachhaltig angelegt, sondern auf reinen Hedonismus ausgerichtet.“
  • „Die Unterstützung für das sogenannte Theaterprojekt Stellwerk wird auf null reduziert“. Denn: „Die Subventionierung eines im linken Mileu agierenden Vereins, der Jugendliche zum Teil für politisch Propaganda missbraucht, ist für die Daseinsfürsorge der Stadt abdinglich.“
  • „Die Ausgaben für die Haushaltsstelle Gleichstellungsbeauftragte werden bis auf die Personalkosten komplett gestrichen […]. Die Stelleninhaberin wird zukünftig dem Bürgerbüro zugeordnet“. Denn: „Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie anderen biologischen oder fiktiven Geschlechtern ist per Gesetz bereits sichergestellt. […] Insofern ist die Gleichstellungsbeauftragte obsolet.“
  • „Der Zuschuss an das sogenannte ‚Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus‘ wird auf null reduziert“. Denn: „die Akteure und Ziele der oft nur als ‚Bürgerbündnis gegen (gesamt) Rechts‘ agierenden Interessenvertretung [sind] mindestens fragwürdig, wenn nicht sogar selbst extremistisch in Ihren Ansichten und Vorhaben. Als wesentlicher Kritikpunkt der Mittelgewährung ist zu sehen, dass der Stadtrat damit eigene Mitglieder zur Bekämpfung aussetzt, wenn er den BgR finanziell unterstützt“.
  • „Die Projektförderung an das sogenannte Lokalradio Lotte wird auf null reduziert“. Denn: „Die Subventionierung eines zum Teil politisch agierenden lokalen Radiosenders ist nicht Soll-Aufgabe des Stadt Weimar. Mit Sicherheit sind die gewährten Mieten in den bereitgestellten städtischen Räumlichkeiten bereits schon subventioniert, als dass eine weitere Begünstigung gegenüber anderen privaten Radiosendern vor Ort verhältnismäßig ist.“

Als nächstes dann wohl weg mit der pluralen Gesellschaft, die sich der Umsetzung des „Volkswillens“ entgegenstellt, den nur die AfD selbst erkennt – und zu dem umgekehrt auch nichts gehören darf, was die AfD ablehnt.

Kein Om-Chanting am 17.03. in Buchenwald!

Am Samstag, den 17.03., trifft sich die Gruppe Bhakti Marga in der Gedenkstätte Buchenwald, um den Ort mithilfe von Om-Chanting von seinen negativen Energien zu befreien und diese in positive Energien zu verwandeln. Dabei sitzen die Meditierenden im Kreis und geben den „universellen Klang der Schöpfung“, also „OM“, von sich. Auf die gleiche Weise wurde auch schon das ehemalige KZ in Mauthausen und die Euthanasie-Anstalt in Hadamar „gereinigt“, der Zugang zum ehemaligen KZ Flossenbürg wurde ihnen jedoch verweigert.[1] Die Gedenkstätte Buchenwald stellt wiederum Räume zur Verfügung. Drüber sprechen möchten die Verantwortlichen aber eigentlich nicht, dass Thema soll bloß „keine weiteren Wellen schlagen“.[2]

Aber wenn Bhakti Marga in die Öffentlichkeit gehen will, tragen wir auch den Streit um ihre Sache in der Öffentlichkeit aus. Schließlich muss man jeden Quatsch nicht in Biedermeier-Manier unkommentiert lassen und still belächeln, sondern kann Leuten auch mal Paroli bieten.

Deshalb rufen wir für Samstag, den 17.03., um 10.15 Uhr zu einer Kundgebung unter dem Motto „Für Bildung und Antifaschismus – Gegen OMinöse Geschichtsheilung“ am Obelisken (Blutstraße Ecke Ettersburger Straße) auf. Wir wollen in dem Ort angemessener Weise Wellen schlagen und damit auch an andere Gedenkstätten das Signal senden, dass man die sich die Finger verbrennen kann, wenn man solchen Sekten seine Räume überlässt.

Denn die Ideologie von Bhakti Marga ist nicht einfach nur harmloser Quatsch, sondern tritt objektiv in Konkurrenz zu echter antifaschistischer Arbeit und schadet ihr so. Zudem sucht sich die Gruppe gezielt die Superlative historischer Verbrechen aus, um sie öffentlichkeitswirksam ungeschehen zu machen. Damit instrumentalisiert sie diese für die eigene Öffentlichkeitsarbeit.

Sinnvollerweise sollte aus der Shoah folgen, „Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“[3] (Adorno). Dazu gehören Aufklärung, Bildung und Erinnerung, wie sie auch in Gedenkstätten wie Buchenwald stattfinden. Werden NS und Holocaust aber nur als „schlechte Schwingung“ aufgefasst, droht die Wiederholung solcher Verbrechen nicht in der Realität und mit echten neuen Opfern, sondern bloß noch im Astralkörper. „Was an diesen Orten geschah, geschieht immer noch in den ätherischen und astralen Bereichen“, sagt Gründer Paramahamsa Vishwananda.[4]

Alle fänden es verrückt, Höcke nach Buchenwald zu lassen, damit er dort mit seinen Fans besprechen kann, warum man Holocaust-Gedenkstätten nicht braucht: weil sie eine Schande für Deutschland sind – negative Energie eben, die weg muss. Aus der Idee von Om-Chanting folgt aber objektiv genau dasselbe: wenn die „heilige Kraft des Om“ ausreichen würde, um die nationalsozialistischen Verbrechen ungeschehen zu machen, also die „Tragödien der Vergangenheit zu überwinden und gemeinsam für eine bessere Zukunft zu wirken“[5], bräuchte man keine Gedenkstätten mehr. Gedenken zu ermöglichen wäre dann genauso wenig nötig wie das Schaffen von Lern- und Begegnungsorten, die dazu beitragen, einen neuen Holocaust unmöglich zu machen. Schon aus Selbsterhaltungsgründen sollte die Gedenkstätte solche Esoteriker also nicht bei sich dulden.

Nichts kann die Narben der Vergangenheit heilen lassen oder geschichtliches Unrecht ungeschehen machen. Deswegen ist Om-Chanting auch nicht bloß eine harmlose Spinnerei, die niemandem schadet, sondern eine gefährliche Ideologie. Sie entbindet jeden, der an sie glaubt, von seiner antifaschistischen Bürgerpflicht und lässt diese sogar als die eigentlich unnütze Aktivität dastehen. So wird die Organisatorin Waltraud Hintze mit dem Ausspruch zitiert: „Ich leiste hier ernsthafte Arbeit“.[6] Und ein Teilnehmer des Chantings in Mauthausen erklärt, dass „dieser Ort [nun] auch mit einem positiven Aspekt verbunden werden“ kann.[7] Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Reinhard Schramm, schlägt in die gleiche Kerbe und sagt über Bhakti Marga: „Wer sich glaubhaft gegen Rassismus einsetzt, ist unser Verbündeter“.[8] Es ist wie mit Homöopathie: wenn sie dazu führt, dass man keine richtigen Medikamente nimmt, wird’s gefährlich.

Gerade, dass Gedenkstätten wie Buchenwald die „negative Energie“ ihrer Orte aufrechterhalten, indem sie den NS dokumentieren und über ihn aufklären, ist das Richtige und Wichtige. Gerade das Erhalten und Vermitteln der Geschichte an Schüler und Besucher, was in einem anderen Sinne des Wortes ja tatsächlich „negative Energie“, nämlich Energie gegen einen neuen Faschismus, spendet, macht die Gedenkstätten so wertvoll.

Spätestens wenn Waltraud Hintz und Konsorten die Heilung Buchenwalds dazu nutzen, neue Interessierte zu finden und mehr zu werden, verliert das Ganze jede Harmlosigkeit. Die Gedenkstätte sollte dieser „Transformation des Verstandes“[9] keine Plattform bieten. Bhakti Marga ist global organisiert und hat nach eigenen Angaben 2000 Organisatoren in 60 Ländern auf 6 Kontinenten.[10] Sie sollten nicht noch größer werden.

Für den 24.02. riefen sie zudem öffentlichkeitswirksam zum „weltweit synchronisierten OM Chanting in ehemaligen Konzentrationslagern“ auf, „um die Vergangenheit zu heilen“. In Belgien, Deutschland, Japan, Kroatien, Österreich, der Slowakei und Tschechien sollte gegen die astralen Überbleibsel der Konzentrationslager angechantet werden.[11] Ähnliche Aufrufe gab es schon zu anderen historischen Verbrechen der Superlative.[12] Um für sich zu werben, sind die größten Verbrechen gerade groß genug.

Statt Om-Chanting fordern wir eine kritische und antifaschistische Auseinandersetzung mit der Geschichte wie es auch sonst in Buchenwald täglich geschieht. Die Toten sind tot und werden nicht wieder lebendig. Sie sind umsonst gestorben und ihr Leid lässt sich nicht mehr heilen. Wir heute können nur unser Bestes dafür geben, dass sich der Holocaust nicht wiederholt. Die Arbeit der zahlreichen Bildungs- und Gedenkstätten leistet dafür einen wichtigen Beitrag, der auch für die Zukunft nichts an Wichtigkeit verliert. Wir fordern die Gedenkstätte Buchenwald und die zukünftig von Bhakti Marga als zu heilende Orte ausgewählten Gedenkstätten auf, dem Beispiel von Flossenbürg zu folgen und keine Räume für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen.

[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article174140671/KZ-Gedenkstaette-Buchenwald-Bhatki-Marga-Bewegung-plant-Om-Chanting.html

[2] https://www.vice.com/de/article/pamw7y/dieser-kult-will-im-kz-buchenwald-meditieren

[3] Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1970, S. 356

[4] https://www.welt.de/politik/deutschland/article174140671/KZ-Gedenkstaette-Buchenwald-Bhatki-Marga-Bewegung-plant-Om-Chanting.html

[5] https://www.newslichter.de/2018/02/hilf-mit-die-vergangenheit-zu-heilen/

[6] https://www.vice.com/de/article/pamw7y/dieser-kult-will-im-kz-buchenwald-meditieren

[7] https://sadhana.bhaktimarga.org/de/om-chanting

[8] https://www.welt.de/politik/deutschland/article174140671/KZ-Gedenkstaette-Buchenwald-Bhatki-Marga-Bewegung-plant-Om-Chanting.html

[9] http://www.kgsberlin.de/aktuell/artikel/eintrag/art93511.html

[10] https://sadhana.bhaktimarga.org/de/om-chanting/basics

[11] https://www.newslichter.de/2018/02/hilf-mit-die-vergangenheit-zu-heilen/

[12] etwa gegen die amerikanische indigene Bevölkerung, https://www.welt.de/politik/deutschland/article174140671/KZ-Gedenkstaette-Buchenwald-Bhatki-Marga-Bewegung-plant-Om-Chanting.html

Flugblatt zur Anti-Nazi-Demo am 03.02.

5 Schritte für den Kampf gegen die AfD

  1. Erkennen, was die AfD ist. Die AfD ist bloß sehr rechts, aber ihr „Flügel“ gibt sich wie eine wiederauferstandene NSDAP – und er ist mächtig. Kein Clownsverein wie andere rechte Splitterparteien, sondern bereits Gewinner im Kampf um die Straße. Keine andere Partei bringt für ihr Programm so regelmäßig so viele Leute in die Kommentarspalten und auf die Straße wie die AfD.
  2. Denken ohne Geländer. Die Wut der AfDler hat einen wahren Kern. Auch im reichen Deutschland muss man schon die Augen vor den Tatsachen verschließen, um keine Zukunftsangst zu haben. Wer glaubt schon noch an seine Rente? Wer kann sich denn sicher sein, dass er seinen Job in 5 oder 10 Jahren noch hat? Wen würde ein kleinerer oder größerer Zwischenfall nicht vor finanzielle Probleme stellen? Das deutsche Durchschnittsvermögen beträgt 174.000 €, aber 2,7 Mio. Beschäftigte kriegen nichtmal den Mindestlohn. Wer nicht wütend ist, muss sich selbst belogen haben.
  3. Verstehen, wieso das alles so ist. Dass mit Höcke Zehntausende die Schuld bei Migranten suchen, ist nur zu einer Hälfte böser Wille. Zur anderen Hälfte ist es bloß die Leugnung der schmerzlichen Einsicht, dass die Schuld in Wahrheit bei der gnadenlosen Konkurrenz liegt, die jeden zwingt, der nicht untergehen will, sich anzupassen und den Druck, dem man selbst doch bloß irgendwie entkommen will, an alle anderen weiterzugeben. Aber diese Konkurrenz lässt sich weder totschlagen noch durch Sozialpolitik aufheben – die ihrerseits gnadenlose Konkurrenz der Staaten untereinander macht jede Umverteilung zum Standortnachteil.
  4. Die Flucht nach vorn antreten. Man kann nicht gegen die AfD sein, aber die Zustände, die ihr die Anhänger zutreiben, unangetastet lassen. Es gilt eine Alternative zur Alternative zu schaffen. Die verschiedenen Arbeiten sind alle gleich notwendig, es ist Zeit, sie auch gleich zu bezahlen. Was hergestellt wird, darf sich nicht länger danach richten, wie viel Profit es bringt, sondern danach, ob es gebraucht wird. Die dafür nötige Arbeit wird dann zwischen allen aufgeteilt und nicht danach verteilt, wie es sich für die Unternehmen am meisten lohnt. Dann kann sich das, was jeder bekommen soll, danach richten, wie viel er/sie für den gemeinsamen Reichtum getan hat. Die Menschheit könnte anders und besser zusammenleben, sie müsste es bloß tun anstatt ihre Aggressionen an den Schwächsten abzureagieren.
  5. Sich organisieren. Alleine ist das alles schwer, aber es gibt ja zum Glück noch andere, mit denen man sich zusammentun kann, um die Schritte 1-4 gemeinsam an- und schon heute besser miteinander umzugehen.

PDF: Flugblatt_A5

Die Kommunisten arbeiten endlich überall an der Verbindung und Verständigung der demokratischen Parteien aller Länder.

Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.

Eine kritisch-solidarische Betrachtung des Demo-Aufrufs „Organize!“ für den 10.02.17 des AK Weimar

„Man übe Kritik, so gut man’s eben kann,
und halte im Übrigen den Rand“

Eine kritisch-solidarische Betrachtung des Demo-Aufrufs „Organize!“
für den 10.02.17 des AK Weimar

Ein Kostprobe aus dem genannten Aufruf:
[…] Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft ist […] aber auch für ihre viel zu oberflächliche Kritik an Nazis [zu kritisieren], die kurzfristige, standortbezogene Lösungen sucht. In diesem Zusammenhang ist eine [!] starke, ausdifferenzierte [!] Gesellschaftskritik notwendig, die aufzeigt, dass Nazis in dieser Gesellschaft immer präsent sein werden, solange Ausbeutungs-, Entfremdungs- und Ausgrenzungsmechanismen bestehen. Nazis agieren genau dort, wo ihnen die Handlungsmöglichkeiten gegeben sind. Die Passivität des Bürgertums kann deshalb kaum eine Option im Handeln gegen Nazis sein. Ihre Vorstellungen von Gewaltfreiheit und friedlichen Protest verneinen meistens soziale Situationen. […]

Frage Nummer eins: Wer ist bloß auf die Idee gekommen, dreieinhalb Seiten lang fast ausschließlich Hauptsätze aneinanderzureihen und das dann Text zu nennen?

Frage Nummer zwei: Was soll „Verneinung sozialer Situationen“ heißen? Sollte die Verneinung nicht unsere Aufgabe als Sozialisten und Antifaschisten sein und nicht unsere Kritik an den „Bürgern“? Wir ahnen, was gemeint sein könnte: die genannten Vorstellungen blenden aus, dass Gewalt in dieser Gesellschaft nichts Fremdes und erst von außen an sie Herangetragenes ist, sondern eines ihrer zentralen Prinzipien. Das ach so gerechte Eigentum mit Kauf und Verkauf, macht Gewalt nicht unnötig, sondern braucht sie zu seinem Schutz. Diebstahl, Betrug und so weiter sind nicht das Gegenteil einer gerechten Gesellschaft, sondern Resultat dessen, was sich hierzulande „gerecht“ schimpft. Wo man alles kaufen muss, um es benutzen zu können, muss man eben klauen, wenn man kein Geld hat. Wenn ein paar hundert Millionen Satte ein paar Milliarden Hungrigen gegenüberstehen, müsste man das Mittelmeer, Mauern zu Mexiko und Erdogan erfinden, wenn es sie nicht gäbe. Aber warum schreibt ihr das dann nicht einfach so?

Und bitte sagt jetzt nicht: „Es ist ein Aufruf, da ist nunmal kein Platz für Welterklärungen.“ Wir wollen nämlich keinen noch längeren Aufruf. Der hier war uns schon lang genug, es stand bloß einfach zu wenig drin.

Dieser linksradikale Aufruf ist aufgrund seines gestelzten Geredes zu kritisieren, aber auch für seine viel zu oberflächliche Kritik an den Bürgern.

Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass hier irgendwie positiv konnotierte Wörter aneinandergereiht worden sind, wenn es um die eigene, „gute“ und „radikale“ Sache geht und irgendwie negativ konnotierte, wenn es um die „Bürger“ geht. Wer ist mit dem Wort „Bürger“ eigentlich gemeint? Die Unternehmer und Fabrikbesitzer? Diejenigen, die davon leben, über fremder Leute Arbeit zu gebieten? Oder die Spießer, die keine Lust haben, Pfefferspray abzubekommen oder geknüppelt zu werden um dann doch nichts zu erreichen? Und so bleibt vom Aufruf – einmal abgesehen von den ganzen nichtssagenden Phrasen – nicht viel mehr übrig, als dass Antifas, die sich als linksradikal und scheinbar diffus kommunistisch begreifen, Nicht-Kommunisten vorwerfen, keine Kommunisten zu sein. Früher war scheinbar doch manches besser. Da haben die Antifa-Punks noch ehrlich und voller Wut „Ihr seid nichts als linke Spießer!“ in die Welt hinausgebrüllt. Heute werden verquaste Aufrufe geschrieben.

Im Aufruf heißt es, „eine starke und ausdifferenzierte Gesellschaftskritik“ wäre „notwendig“. Das finden wir nicht. Wir wollen uns nicht irgendeine Gesellschaftskritik erarbeiten, sondern die eine, die die Gesellschaft als Ganze heute im Kopf, morgen tatsächlich über den Haufen wirft. „Notwendig“ ist sie nicht abstrakt und für jeden, sondern für uns, die wir etwas – oder besser gesagt alles – verändern wollen: „die Kritik ist die geistige Antizipation der Revolution“! „Stark“ kann diese Kritik allemal sein und das wird sie von ganz alleine, wenn sie wahr ist, aber doch bitte nicht „ausdifferenziert“. In dieser Gesellschaft kann man getrost alle Phänomene in einen Sack stopfen und mit den Waffen der Kritik zuschlagen, wie man lustig ist. Man wird nichts treffen, dass es nicht hundertfach verdient hätte, getroffen zu werden.
„Mittlerweile kritisieren wir die gleichen Erscheinungsformen seit drei Jahren“ heißt es weiter. Geholfen hat es scheinbar nichts. Es scheint eher wie bei der stillen Post zugegangen zu sein: die Kritik ist undeutlich geworden und kaum noch zu verstehen. Aus dem ganzen Uni-Kauderwelsch muss sie erst wieder freigelegt werden.

Wenn Ihr, um einen Anfang zu machen, […] mit uns gegen die gesellschaftliche Hierarchie, gegen Euer und unser Elend kämpfen wollt, dann:
Brüder [und Schwestern], auf zur Tat, wir lieben Euch!

hieß es in einem Flugblatt französischer Berufsschüler im Dezember ‘86.
Dem schließen wir uns einfach mal an.

Eure Falken Weimar

Und hier noch die PDF

Das Proletariat hat nichts zu verlieren als seinen Weihnachtsmarkt

Weihnachten ist eine große Ausnahme: Familien, die sich sonst nie sehen, treffen sich, Menschen, die sonst nie spenden würden, tun es auf einmal doch. Und der kleine Prolet vom Fließband meint, in Form des Weihnachtsgelds zum ersten Mal in diesem Jahr von seinem Chef so etwas wie Anerkennung erhalten zu haben. Alles schön? Warum kann es nicht das ganze Jahr über so sein? Warum wird erst Ende des Jahres auf andere geschaut?

Noch schlimmer wird es, wenn man sieht, wie durchkommerzialisiert das Fest ist. Ein Beispiel? Ein großes Versandhaus macht Werbung mit dem Slogan „Schenke das Wertvollste, was Du hast. Zeit.“ In dem dazu gehörigen Werbefilm wird die Hektik der werktätigenBevölkerung dargestellt, mit der Pointe, zu Weihnachten es doch mal ruhiger angehen zu lassen und Zeit für die Familie zu finden. Mit Sicherheit ist das keine schlechte Empfehlung – doch warum ausgerechnet zu dieser Zeit im Jahr? Wäre es nicht besser, wenn man sich immer mal wieder rausnehmen, entschleunigen würde, sich immer Zeit nehmen könnte für die Familie, und nicht nur zum Abschluss eines langen Jahres, durch das man gehetzt ist?

Wir kennen es doch alle: „Es geht stramm auf Weihnachten zu“, „Bald ist ja schon wieder Weihnachten“ − Ausdrücke davon, wie sehr die Zeit vergeht und man sein Jahr auf diese Zeit ganz am Ende ausgerichtet hat. Zeit zum Runterkommen. Zum Einkehren. Vielleicht geht man ja sogar mal in die Kirche… Bedürfnisse treten auf, für die den Rest des Jahres keine Zeit da ist. Jetzt wird das nachgeholt. Es werden Weihnachtslieder gesungen, Kerzen angezündet, etc. pp. Kraft getankt, Ruhe gefunden − und dann ab 2. Januar wieder auf die Arbeit, ab in ein neues hektisches Jahr.

Da kommt doch die Frage auf: Warum angesichts der einen Woche Weihnachtsferien überhaupt die Arbeit einstellen? Man könnte doch auch allein den Jahresurlaub stehen lassen, zu wenig Zeit ist eine Woche! Zumal der Wunsch, ein perfektes Weihnachten feiern zu können, nicht selten selbst in totaler Hektik endet.

Vielleicht ist das der Grund dafür, dass selbst das Großkapital verstanden hat: Die Menschen brauchen mal eine Pause − und in Gedanken setzt es hinzu: um hemmungslos zu konsumieren. Also stellt es Kitsch in die Regale, produziert kurzfristig angenehme Gefühle durch bunte Werbung, bringt die nächste CD mit Weihnachtsschnulzen auf den Markt, garniert mit der nächsten Version von „Last Christmas“.

Und ihr? Denkt euch: Ich geh erstmal auf den Weihnachtsmarkt.

Leserbrief zum Artikel „Sieg des Triebs“ in Spiegel Nr. 46/2016

Wer Leo Löwenthals Analyse der faschistischen Agitation im Amerika der 30er und 40er Jahre kennt, wird vieles im Artikel wiederfinden: dass der Agitator von seinen Anhängern hysterische Ausbrüche geradezu einfordert und dann gezielt verstärkt, dass im Publikum den Wunsch nach Aufgabe jeglicher Tabus bestärkt, dass er ihnen mit dem Pogrom Teilhabe an der gesellschaftlichen Macht verspricht. Trumps Erfolg belegt eindrucksvoll, wie „an Selbsthass und Selbstverleugnung gewöhnte Menschen […] sich zum Narzissten herangezogen“ fühlen und der (proto-)faschistische Agitator eine Mischung aus Witzfigur und Held ist, gleichzeitig unerreichbar hoch über den Leuten thronend und doch mit denselben Problemen wie sie.
Während der Artikel richtig aufzeigt, dass Trumps Anhänger in ihrem Verhalten immer noch Kindern ähneln, stoppt er seine Analyse an der entscheidenden Stelle: Die Frage, warum sie nie erwachsen geworden sind, bleibt unbeantwortet. Scheinbar hätten Trump und seine Fans bloß alle einen Vater gebraucht, der hart durchgreift und konsequent bestraft, dann wären sie jetzt nicht so unkontrolliert. Doch der Erfolg Trumps hat seine Gründe nicht einfach in zwar massenhaft auftretenden, aber doch individuellen psychischen Problemen. Es ist keine Lust, die eigenen Regungen beständig niederzuringen und sich unter Kontrolle zu haben, aber es lohnt sich, weil man ohne nicht vorankommt. Verspricht aber selbst die totale Herrschaft über die eigenen Triebe keinen ökonomischen Erfolg mehr, kann man es auch sein lassen mit dem Erwachsenwerden. Als „kleiner Mann“ kommt man eh nicht nach oben, wenn der Markt es nicht hergibt (das vielzitierte Ende des amerikanischen Traums). Im Kapitalismus des Amerikas von 2016 lohnt sich Triebkontrolle einfach nicht mehr. Und woher sollen Eltern die nötige Autorität für eine vernünftige Erziehung nehmen, wenn sie selbst nur gescheiterte Existenzen in einer Wirtschaft sind, die sie nicht braucht und vermutlich nie wieder brauchen wird? An der Stelle verbinden sich auch die Gründe für die geistige Verfassung der Trump-Fans mit Hillary Clintons Angebot des „Seht her, so weit kann man es bringen, wenn man tüchtig agiert und erwachsen ist“. Wenn das nicht schon immer eine Lüge war – stets kurz davor, als solche enttarnt zu werden – dann doch zumindest heutzutage. – Uund niemand scheint sie mehr zu glauben.

Und leider wird der Artikel geradezu zynisch, wenn er Trumps Anhängern vorwirft, sich mit dieser Gesellschaft, in der der Einzelne noch nicht mal Rädchen im Getriebe, sondern völlig funktionslos und jederzeit ersetzbar geworden ist, nicht mit der gebotenen Teilnahmslosigkeit zufrieden zu geben.

Zum Artikel:
https://magazin.spiegel.de/SP/2016/46/147864069/index.html

Moishe Postone über die „Philo-Ausländerbewegung“ (1992)

Ich habe über die „Philo-Ausländerbewegung“ des letzten Herbstes gelesen. Manches fand ich sehr bedenklich. Dem Ausländerhass mit scheinbarer Ausländerliebe begegnen zu wollen, ist einfach verlogen. Man sollte die Ausländer nicht für so dumm verkaufen. Ihre Situation ist eine Frage des Rechts, nicht der Liebe. Zweitens hilft es auch nichts, das ganze deutsche Volk als dumm und stumpfsinnig darzustellen. Das ist provozierend und für den politischen Kampf untauglich. Sich zu schämen, Deutscher zu sein, kann ich gefühlsmäßig nachvollziehen, aber es ist kein politischer Standpunkt.

– Moishe Postone, 1992